Ein Gespräch mit Manfred Wenzel über die Prägungen, die Gründung und die Zukunft von TEK TO NIK Architekten
Gebäude kann man planen. Ein Architekturbüro nicht. Wie habt ihr angefangen?
MW: Wir wollten einfach anfangen und auf eigenen Beinen laufen. Wir hatten keinen Business-Plan, aber eine gemeinsame innere Haltung. Damit gründeten Didi, Stefan und ich am 4. Juli 1999 unser gemeinsames Architekturbüro. Das Datum kann man sich leicht merken, das war unser persönlicher Independence Day.
Worin bestand die gemeinsame innere Haltung?
MW: Zunächst einmal vertrauten wir uns und unseren Kompetenzen. Wir sahen uns gegenseitig als Ergänzung. Wir hatten alle unser eigenes Profil. Gemeinsam war uns die Leidenschaft nach Lernen und Wachsen, Entdecken und Erfinden. Das Wichtigste war aber vielleicht, wir wollten neue Formen der Zusammenarbeit schaffen. Wir wollten uns immer wieder neu kombinieren. Routinen interessierten uns nicht. Möglichst viel Aufträge an Land ziehen, auch nicht. Und es interessierte uns nicht nur Architektur und Gebäudebau. Wir wollten mehr als Beton ausgießen. Wir wollten uns mit allen Aspekten und Details beschäftigen, die einem Ort und einer Stadt guttun.
Wie kam es zu der Gründung? Was war vorher?
MW: Heute würde ich sagen: Der Anfang von TEK TO NIK war der logisch nächste Schritt in einer langen gemeinsamen Entwicklung. Die meisten von uns kannten sich damals schon seit rund zehn Jahren, durch das Studium an der FH Frankfurt. Dazu gehört vor allem Dieter, Kathrin, Marcus, Olaf, Matthias, Verena, Tillmann, Frank, Lasse und Rudolf noch andere mehr um uns herum. Wir waren ein Art Geflecht, das in den unterschiedlichsten Kombinationen zusammenarbeiten konnte.
Das klingt ein wenig so wie bei einer Künstlergruppe – alle machen dasselbe, aber man fühlt sich irgendwie verbunden. Oder wart ihr eine Gruppe von Spezialisten?
MW: Schwer zu sagen. Das trifft es beides nicht richtig. Am wenigsten waren wir Künstlergruppe. Ich würde sagen, wir waren Individualisten, die aber daran glaubten, zusammen mehr erreichen zu können und die außerdem einfach Spaß an der Zusammenarbeit, an Diskussion, Auseinandersetzung und Kritik hatten. Am ehesten zu vergleichen mit einer Jazzband.
Die „Band“ TEK TO NIK Architekten, ca. 2005
Also gab es doch Spezialisierungen?
MW: Natürlich auch. Zu den individuellen Profilen gehörten auch individuelle Kompetenzen. Viele hatten vorher eine Ausbildung zum Maurer, Betonbauer, Bauzeichner, Schreiner oder Zimmermann absolviert. Handwerkliche und bautechnische Kompetenz hatten mich selbst und jeden von uns immer genauso interessiert wie Gestaltung und architektonische Ästhetik. Wir wollten schön, sinnvoll, gut und haltbar bauen.
Gab es beim Studium in Frankfurt einen Professor, der euch besonders beeinflusst hat?
MW: Nikolaus Kränzle war wichtig für uns. Nikolaus hat uns im Grundstudium unterrichtet, in Gebäudekunde und Baukonstruktion. Das war der Zündfunken, die erste Erleuchtung über die Probleme guter Baukultur. Und zum Glück ging das im Hauptstudium mit ihm weiter, weil er auch die Fortsetzung anbot. Dadurch entstand ein Zusammenhalt unter den besonders engagierten Studenten. Wir haben Stegreife und Entwurfsaufgaben bearbeitet. Wie in einer Meisterklasse, mit viel Gespräch, vielen kritischen und detaillierten Diskussionen. Nikolaus war für uns der „Chef“. Bei ihm hatte das Architekturstudium intellektuellen Anspruch. Durch ihn haben wir Architektur als eine umfassende Disziplin entdeckt, die Entwurf, Material, Konstruktion, Leben, Zwecke und den Menschen als soziales Wesen einbezog.
Hat Professor Kränzle TEK TO NIK Architekten sozusagen ideell mitgegründet?
MW: Das wäre etwas zu viel gesagt. Aber gut, irgendwo gehört Nikolaus Kränzle zu unseren Fundamenten. Bei ihm haben wir uns jedenfalls als Gruppe gefunden, weil wir als Gruppe studierten. Darauf hatten wir uns quasi verabredet. Wir wollten als Gruppe zusammen weitergehen, weil unsere Diskussionen untereinander spannend funktionierten. Und wir spornten uns gegenseitig zu Höchstleistungen an. Das fiel dem „Chef“ auf, dass wir besonders engagierte Studenten waren, und er brachte uns mit älteren Semestern in Kontakt, mit Dieter, Stefan und Thomas. Die studierten schon länger, waren auch jeder außergewöhnlich begabt und engagiert, hatten aber nicht den Ansporn einer Gruppe. Die kamen dann dazu und wir haben sofort voneinander profitiert.
Wie ging es nach dem Studium weiter?
MW: Nach dem Studium zerstreuten wir uns in ganz verschiedene Richtungen. Jede und jeder fand woanders eine Anstellung. Ich fing bei der Architektengemeinschaft Gerhard Balser an. Die drei Partner waren Schüler von Egon Eiermann. Das Büro war davon geprägt, war cool, hatte seine eigene Kultur und den hohen Architekturanspruch von dem großen Eiermann. Ich wurde sozusagen Eiermann-Schüler der zweiten Generation und gleichzeitig habe ich viel über das Führen eines Architekturbüros gelernt oder den Umgang mit Ämtern.
Und was war mit den anderen Gruppenmitgliedern?
MW: Stefan war unglücklich in einem Büro in Berlin. Ich habe ihm gesagt, komm hierher nach Frankfurt. Auch Dieter vermittelte ich ans Balser-Büro. Als Gerhard Balser dann 70 Jahre wurde, das war 1999, sollten wir Jungen das Büro übernehmen. Und wir dachten, warum nicht lieber etwas Eigenes gründen? Und wurden dann TEK TO NIK Architekten. Als uns dann Hubertus von Allwörden, Partner von Balser, einmal in unserem Büro besuchte, sagte er, ihr seid das Enkelbüro. Also das dritte Büro in der Architektenfamilie Balser. Das haben wir als Ehre und Auszeichnung empfunden und der Titel Enkelbüro macht mich bis heute ein wenig stolz.
Da steckt viel Tradition in eurer damaligen Neugründung. Aber war das nicht auch eine Last?
MW: Auf jeden Fall eine zusätzliche Verpflichtung, niemals unterhalb bestimmter Standards abzuliefern. Und wir wollten es so hart und anspruchsvoll. Wer genau hinsieht, findet in unserer Arbeit die Spuren von Egon Eiermann wieder, die wir durch Balser und Allwörden kennengelernt hatten. Wir arbeiten bis heute akribisch an „Richtigkeit“ und klaren Strukturen und lassen krumme Lösungen nicht aus dem Haus. Aber das waren nicht die einzigen Einflüsse. Der Job bei Christoph Mäckler hat mich zum Beispiel auch tief geprägt, er war ja einer unserer Architekturhelden. Und die umfassende Sicht auf Architektur, die wir bei Nikolaus kennengelernt haben. Wie Architektur unser soziales Leben beeinflusst, unsere Gesundheit und Umweltbilanzen, das alles ist seit unserer Gründung ständig wichtiger geworden.
Und wie kam es zu dem Namen TEK TO NIK?
MW: Wir gründeten zu dritt, Stefan Burger, Dieter Gutsche und ich, also haben wir das zu dritt entschieden. Erste Idee ist ja immer die Kombi der ersten Buchstaben – BGW wäre das für uns gewesen. Aber so ein Drei-Buchstaben-Büro wie Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte, das war ein No-Go. Und dann hatte einer von uns Hans Kollhoff „Über Tektonik in der Baukunst“ in der Hand. Und das fanden wir perfekt, weil wir als Büro eine Art Plattform werden wollten, an dem noch andere andocken sollten. Obendrein hatte Nikolaus mit Hans bei Egon studiert, das war also auch eine Bestätigung der Traditionslinie, auf der wir uns sahen.
Auch wieder eine Rückbesinnung. Auf den altgriechischen Wortkern von Architektur …
MW: Ja, stimmt. Wir sind ohne die klassischen Probleme der Baukunst nicht denkbar – Maßstab, Proportion, Rhythmik, Systematik, Zweck und so weiter. Die klassische Moderne haben manche genutzt, um sich plötzlich davon frei zu fühlen. TEK TO NIK ist seit 25 Jahren ein Büro, wo wir es uns nie so leicht machen wollten.
So hatten wir in unserem ersten Büro in der Brückenstraße immer Kontakt mit der Realität der Stadt.
Und kamen weitere Leute dazu?
MW: Ja, das Projekt wuchs, auch mit den nötigen Leuten drumherum. Meine Freundin Maja kündigte ihren Job, weil sie Lust hatte, das ganze Kaufmännische zu machen. Lera gestaltete unsere CI. Kai, Gregor, Böhm übernahmen die EDV. Eines Tages brauchten wir Unterstützung beim Texten, so kam Fritz als Freelancer dazu, Andreas Stimpert für die Fotos.
Mit jeder neuen Person entstehen neuer Austausch, Input, neue Fragen …
MW: Unbedingt. In den vergangenen 10 Jahren haben wir immer wieder junge internationale Leute hereingeholt, manchmal Studenten direkt von der Städelschule. Ganz bewusst, weil neue Außenimpulse nur gut sein können. Außerdem ist ein Architekturbüro immer ein Punkt in einem Netz. Wir arbeiten ja mit zahllosen anderen Firmen zusammen, auch mit technischen Hochschulen. Kein Architekt kommt allein zum großen Ziel, jedenfalls nicht, wenn Bauqualität zum Ziel gehört.
Und es gab auch Abschiede in der langen Zeit?
MW: Ja, das gehört dazu. Wenn sich TEK TO NIK als Plattform für gute Architektur versteht und nicht einfach nur als das Büro der Architekten XYZ, dann heißt das auch Offenheit in der Zusammensetzung. Einige vermisse ich, wie wir gemeinsam um die richtigen Lösungen gekämpft haben. Bei Dieter und Eckbert ist die Rückkehr bedauerlicherweise nicht mehr möglich. Sie sind gestorben, viel zu früh, in mir sind sie noch lebendig.
Die ursprünglichen Quellen, aus denen TEK TO NIK entstanden ist, welche Bedeutung haben die jetzt für die Zukunft?
MW: Die sprudeln weiter. Ich denke sogar, ihre Bedeutung ist heute noch zentraler für uns. Ich glaube, mit jedem Jahr verstehe ich besser, was wir hier vorhaben und woraus unser Kern besteht.
Ist nicht jedes größere Projekt auch eine Lernchance?
MW: Klar. Und dabei ist bei mir die Erkenntnis gewachsen, dass jede Aufgabe ein Gruppenprojekt ist. Zusammenarbeit ist wesentlich in der Architektur. Die Erkenntnis hat sich für mich eher vertieft. Heute arbeiten und leben wir das im Büro und in Zukunft soll das gerne noch mehr und intensiver werden. Wer neu zu uns kommt, muss das schnell spüren und erfahren.
Kommt mir vor wie bei einem Orchester, sagen wir mal die Berliner Philharmoniker, bei denen auch immer wieder neue Musiker kommen und andere aufhören. Und der Spirit muss immer erhalten bleiben …
MW: Guter Vergleich, wobei mir das Orchester zu hierarchisch ist und bei uns ja nicht immer alle das gleiche Stück spielen. Ansonsten richtig, dass jeder für das gemeinsame Ergebnis seine Verantwortung fühlt, an seiner Rolle Spaß hat und daran mitwächst. Und dieser Spirit wohnt in uns allen, jedenfalls nicht nur in den Geschäftsführern. Es gibt vielleicht einen organisatorischen und kreativen Kern, das sind heute Manuela, Jan, Andreas, Arne, Jorge, Maja und ich als derjenige, der auch am längsten dabei ist. Aber der Kern ist nach allen Seiten offen und jeder, der das wirklich will, kann bei uns mehr Eigenbeweglichkeit erhalten oder sich punktuell einfach nehmen.
Haben sich die architektonischen Aufgaben in den letzten 25 Jahren eigentlich geändert?
MW: Na ja, was ändert sich nicht in 25 Jahren? Die Normen sind mehr geworden. Aber das ist vielleicht nicht so wesentlich wie die Themen Nachhaltigkeit und Stadtentwicklung. Nachhaltigkeit und Energieeffizienz sind nicht mehr nur eine Frage von Normerfüllung durch Fassadentechnik, sondern ist ein Gesamtthema. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen wurde 2007 gegründet. Erst 2007, nicht 1970 oder 1980. Damit ist ein ganz neues Zertifizierungssystem entstanden. Wir gehörten zu den Ersten, die sich daran orientierten und für die Gesamtmaßnahmen eine Gold-Zertifizierung erhielten (Triton, 2010-2013). Ich würde sagen, die Komplexität vollendeter Architektur ist gestiegen. Gute Architekten müssen heute noch mehr technische Kompetenzen draufhaben oder um sich herum aufbauen.
Bei der Verleihung „Deutscher Natursteinpreis“, 2015
Und Stadtentwicklung ist das zweite große Thema, dessen Bedeutung gestiegen ist?
MW: Ja, genau. Die Debatten laufen heute intensiv, quer durch Europa. Überall sind Ideen gesucht, wie sich die Fehler der Vergangenheit ausbügeln lassen und die neuen Bedarfe an verkehrsberuhigtem städtischem Leben bewältigt werden. Da geht es um weniger Autoverkehr, Familienfreundlichkeit, soziales Wohnen, um friedliche Städte, in denen sich jeder wohlfühlen kann und keine Gruppe an den Rand gedrängt wird. Da haben wir in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland viel zu machen, wobei wir von den Pionieren lernen können.
Ganz stark ein politisches Thema, auf das Architekten nur wenig Einfluss haben …
MW: Ja, leider ist das Thema „lebenswerte Stadt“ überpolitisiert. Man sollte sachlich-analytisch sehen, was getan werden kann und das dann Schritt für Schritt umsetzen. Unsere Grüne Gasse (MAIN YARD der OrT Group) ist ein kleines Beispiel für das Schaffen neuer sozialer Orte mitten in einer städtischen Problemzone, die Jahrzehnte unveränderbar schien. Aber so ist das jetzt: Auch Revitalisierungen von Gebäuden oder einem ganzen Block sind nicht mehr einfach nur Dämmung, Holzlaminat plus farbliches Aufhübschen der Fassaden, sondern brauchen Überblick über die Möglichkeiten, neue Ideen und Zielvorstellungen.
Es bleibt für TEK TO NIK viel zu tun …
MW: Ja, unbedingt. Eigentlich haben wir ja eben erst angefangen.
Das Gespräch mit Manfred Wenzel führte Fritz Iversen, der TEK TO NIK Architekten seit über 20 Jahren textlich unterstützt.